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Mathematik

Neue Art geometrischer Formen entdeckt

Mathematiker finden dreidimensionale „Fliesenmuster“ ohne Ecken

Zebra
Zebrastreifen sind nur eines von vielen Beispielen aus der Natur, wo sich Muster aus „weichen Zellen“ finden. © Byrdyak/CC-by 4.0

Kompakte Bausteine: Mathematiker haben eine neue Klasse von geometrischen Formen gefunden, die lückenlose „Fliesenmuster“ bilden können. Aus diesen „weichen Zellen“ lassen sich zwei- und dreidimensionale Konstruktionen bauen, die in der Natur häufig vorkommen. Das Besondere daran: Anders als klassische Fliesen oder Mauersteine besitzen sie keine Ecken, sondern abgerundete Kanten, und können dennoch lückenlos zu einer gekachelten Fläche oder einem 3D-Objekt angeordnet werden.

Manche geometrischen Formen sind so regelmäßig aufgebaut, dass sie wie Fliesen oder Parkettteile nebeneinander platziert werden können, ohne dass zwischen ihren Kanten Lücken entstehen. Zum Beispiel können Dreiecke, Quadrate oder Sechsecke derselben Größe beliebig ineinander geschachtelt werden, ohne Freiräume zu lassen, wie Mathematiker bereits seit der Antike wissen. Typische Alltagsanwendungen sind Fliesenböden oder Mauern aus Quadern. Diese Anordnung klappt jedoch nur bei sogenannten polygonalen Kacheln oder polyedrischen Bausteinen mit geraden Kanten, ebenen Flächen und Ecken – dachte man bislang.

Algorithmus berechnet neuartige „Fliesenmuster”

Ein Team um Gábor Domokos von der Technischen und Wirtschaftswissenschaftlichen Universität Budapest hat nun untersucht, ob eine solche lückenlose Anordnung auch mit geometrischen Formen möglich ist, die abgerundete Ecken haben. Solche Formen sind in der Natur weit verbreitet und finden sich beispielsweise bei Muscheln, aber auch im schichtförmigen Aufbau von Zwiebeln und der Anordnung von Samen in Getreideähren: Sie haben überwiegend abgerundete Kanten ähnlich einer Ellipse oder einem Sattel, jedoch teils mit höckerförmig ausgestülpten und spitz zulaufenden Ecken.

Die Mathematiker tauften diese geometrischen Bausteine „weiche Zellen“. Domokos und seine Kollegen haben nun erstmals untersucht, ob sich diese Formen bei identischer Größe ebenfalls wie Fliesen zu einer lückenlos gekachelten Fläche oder zu einem vollständig gefüllten Raum platzieren lassen. Dafür entwickelten sie einen Algorithmus, der aus verschiedenen zwei- oder dreidimensionalen eckigen Formen „weiche Zellen“ bildete, indem er eine oder mehrere der Ecken abrundete. Dann ermittelten die Mathematiker, ob und welche Fliesenmuster beziehungsweise Raumstrukturen sich aus diesen „weichen Zellen“ jeweils generieren lassen.

„Weiche Zellen“ fügen sich nahtlos aneinander an

Dabei zeigte sich, dass eine lückenlose Anordnung auch mit diesen Formen tatsächlich möglich ist. Bei einer zweidimensionalen flachen Ebene sind dafür „weiche Zellen“ mit mindestens zwei spitzen Ecken nötig. Durch die speziellen Winkel der Spitze und ihrem tränenförmigen Übergang zu den abgerundeten Kanten fügen sich diese geometrischen Formen dann nahtlos aneinander an, wie die Berechnungen ergaben.

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Im dreidimensionalen Raum sind sogar noch vielfältigere „Kachelmuster“ möglich. Die „weichen Zellen“ brauchen dafür nicht zwingend Ecken oder Winkel, sondern können auch ganz aus abgerundeten geometrischen Formen bestehen, wie Domokos und seine Kollegen berichten. Ähnlich wie Seifenblasen fügen sich diese dann zu einem dreidimensionalen Schaum zusammen, ohne dass zwischen den einzelnen „Blasen“ Lücken entstehen. Dafür müssen die „weichen Zellen“ nicht einmal kompakt sein, sondern können auch flügelartige, abgerundete Ausstülpungen an den Rändern haben, die wie Flansche ineinandergreifen, so das Team.

spiralförmige Schale eines Nautilus
Schale eines Nautilus. Man erkennt die spiralförmige Wachstumsform und die Hohlräume, die sich je nach Wachstum der Molluske vergrößern. © José Luis Navarro Lizandra/CC-by 3.0

Weit verbreitetes Naturphänomen

Das Team fand zudem zahlreiche Beispiele dafür, dass solche am Computer berechneten Muster auch real in der Natur existieren – etwa in der Anordnung von Körperzellen in einem Gewebe oder im Zebramuster. Ein extremes Exemplar ist dabei der Nautilus (Nautilus belauensis). Dieses Meeresweichtier besitzt eine spiralförmige Schale, die in Kammern unterteilt ist. Im Querschnitt bilden sie zweidimensionale Zellkompartimente aus „weichen Zellen“ mit zwei Ecken. In der dreidimensionalen Perspektive weisen die Kammern jedoch überhaupt keine Ecken auf, wie die Analysen von CT-Bildern ergaben.

Im Vergleich zu Fliesenmustern aus Quadraten und Sechsecken sind Kachelmuster aus „weichen Zellen“ in der Natur demnach sehr weit verbreitet. Die Mathematiker vermuten, dass Ecken energetisch und strukturell ungünstig sind und daher in der Natur eher vermieden werden, um Energie zu sparen und unnötige Spannungen zu vermeiden. Warum und wie genau die diese Strukturen in der Natur entstehen, ist jedoch unklar und muss in Folgestudien untersucht werden.

Anwendung auch in der Architektur

„Über die Natur und die Mathematik hinaus entdecken wir auch in der Kunst weiche Zellen“, schreibt das Team. So nutzen beispielsweise auch einige Architekten wie Zaha Hadid, Katsushika Hokusai und Victor Vasarely für ihre Konstruktionen bereits seit Langem „weiche Zellen”, etwa für gebogene Fassaden. Domokos und seine Kollegen vermuten, dass sie dabei aus ästhetischen oder strukturellen Gründen intuitiv auf Ecken verzichtet haben. (PNAS Nexus, 2024 ; doi: 10.1038/d41586-024-03099-6)

Quelle: Nature News

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